Eine echt interessante Neuigkeit, die mir aus Spanien zu Ohren kam. In Madrid gibt es eine neue Spielzeugfirma, die Tente mit den alten originalen Spritzformen aus der letzten Überarbeitung von Borrás neu aufzulegen werden. Aber was ist Tente überhaupt? Und was hat es mit den Anwälten (wieder) auf sich?
Tente wird den meisten deutschsprachigen Klemmern überhaupt kein Begriff sein, denn diese Marke gabs im deutschsprachigen Raum nicht, noch ist sie kompatibel mit dem dänischen 8mm-Standard. Tente, dessen Mutterhaus EXIN bis 1998 hieß (danach Borrás), nutzte zur Befestigung kleine Ankerpins in der Unterseite der Steine, die wiederum in Löcher in den Noppen eingerastet sind. Es ist eher mit einem Ankerstein mit Noppen vergleichbar, da die Klemmkraft nicht nur via Noppen ausgeübt sondern durch diese Pins verankert werden. Hält bombastisch, kann ich euch sagen.
Da ich in den ersten Lebensjahren nicht in Deutschland aufgewachsen bin, sondern in Spanien, war und ist mir Tente durchaus ein Begriff. Ärgerlich wars für mich auch, weil meine wenigen Tente-Steine, die in meinem Koffer in den 1980er Jahren mit nach Deutschland kamen, halt überhaupt nicht kompatibel zu Lego waren. Meine Verwandten schenkten mir zu den üblichen festlichen Feiertagen gelegentlich Tente-Sets. Allzu viele Sets aus Spanien waren es nicht, war doch der Versand nach Deutschland teuer und meine Mutter später die Verwandten gebeten hatte, bitte kein Tente mehr zu kaufen (¡compatibilidad! ¡El pobre niño!).
Dennoch hat mich Tente irgendwo angefixt, was später in eine wahre Leidenschaft für Lego und noch später für alle Bausteine mit Noppen mündete.
Auch hat Tente einen entscheidenden Grund, warum es in Spanien weit verbreiteter war als Lego:
Es ist günstiger gewesen.
Lego galt und gilt heute noch als ein Status-Spielzeug für den oberen Mittelstand, darüber hinaus hatte Tente ein weit besseres und vor allem ein bereits bestehendes Vertriebsnetz in Spanien, welches Lego sich mühselig erstmal aufbauen musste. Das Mutterhaus EXIN war auch mit Marken wie Scalextric (Lizenz) oder Meccano vertreten und kann durchaus als nationaler Spielzeugkonzern betrachtet werden. Kam auch dazu, dass Spanien erst 1986 der damaligen Europäischen Gemeinschaft (heute EU) beigetreten ist und somit auch einen sehr geschlossenen Markt hatte. Mit durchaus saftigen Importzöllen (Als Beispiel: Im Ausland produzierte PKW hatten bis in die 1980er einen Importaufschlag von bis zu 100%). Da hat das westliche Europa doch an den Pyrenäen aufgehört.
Geschichtsstunde zu spanischen Klemmbausteinen
Genau in diese Melange fällt Tente rein, das von EXIN 1972 als Marke auf den Markt gebracht wurde. Es erinnert viele Spanier an eine Zeit des Umbruchs (Transición), ist doch 1975 Franco gestorben und damit sein Regime dazu. 1978 wurde in Spanien die Verfassung aus der Taufe gehoben und galt als offizielles Ende der Übergangszeit – was aber nicht wahr ist. Galt der fehlgeschlagene Putschversuch im Februar 1981 als der eigentliche Endpunkt der Transición.
Als „Nachwirkungen“ der spanischen Wende galten wichtige Meilensteine des modernen Spaniens wie 1982 die Fußballweltmeisterschaft im eigenen Land (Mit Naranjito, der kugelrunden Orange als Maskottchen), der stetige Rückgang der Allmacht der katholischen Kirche und deren Institutionen in Spanien, der eingesetzte Bauboom ab 1988 in ganz Spanien, was irgendwo dann 1992 in den olympischen Sommerspielen in Barcelona und der Expo in Sevilla gipfelte und spätestens 2007 in einer katastrophalen Immobilienkrise endete.
Genau auch in der Zeit sank Stück für Stück der Stern von Tente, da Lego in den Markt drückte. Viele Klemmer in Spanien sind sich bis heute nicht wirklich einig, ob es das Management von EXIN oder eben Lego war, was Tente 2008 vom Markt gefegt hatte. Persönliche Meinung: Beides.
Tente war aber nicht nur im spanischen Heimatmarkt aktiv, vor allem Südamerika und auch die USA wurden in Angriff genommen – sogar auch Japan. Großen Erfolg gab es in Zentralamerika über die Tochter EXINMEX, die mexikanische Niederlassung von EXIN. Da diese Länder von Lego in den 1980ern nicht im Fokus standen, war die Marke Tente dort ebenso bekannt und geschätzt wie im Mutterland Spanien. Später sogar nach dem Markteintritt Legos in Zentralamerika lagen beide als Kontrahenten Kopf an Kopf.
Qualitativ ist Tente nicht schlecht gewesen, aber im Vergleich mit dem dänischen Steinen war Tente dünnwandiger. Nicht selten mit feinen Teilen, die über das Loch in der Noppe gesteckt wurden – Teile, die einen Schaft von zwei Millimeter hatten und leicht brechen konnten. Es war schon zu spüren, dass Lego hochwertigere Teile im Vergleich hatte.
Dafür bot aber Tente damals auch Themen in den 1990ern, die Lego auch heute nicht so anfasst (Indiana Jones? Ach, ist ein Film und die Landser dort sind reine Fiktion). Das ist nämlich Militär gewesen (Heer, Luftwaffe, Marine).
Auch brachte die katalanische Marke Tente Themen, die mit einem eigenen Spielteppich aus Pappe kombiniert werden konnte mit Gebäuden aus dem echten Leben und Autos mit ca. drei Noppen Breite hatte (Tente Micro).
Es gibt so ziemlich kein Thema, was Tente nicht abgegrast hat. Ritter, Wild West, Schiffe, Städte, Autos und was weiß ich noch alles.
Lego und die Anwälte…
Natürlich, wie konnte es auch anders sein, wenn man Marktbegleiter vom Dänen ist. In den 1980ern bis 1990ern wurde in Israel prozessiert (unter anderem AZ: CA 513/89 Interlego A/S v. Exin-Lines Bros. SA), da Lego die Steine von Tente als Kopien und Plagiate angesehen hatte. Hintergrund war vor allem der Markteintritt von Tente in den USA, der Markteintritt Legos in Kernmärkte von Tente und der starke Konkurrenzkampf in Zentralamerika. Lego hielt bis 1994 das Mutterhaus EXIN mit verschiedensten Gerichtsverfahren in Schach. Lego behauptete, das spanische Unternehmen habe das Verankerungssystem ohne jegliche Erlaubnis verwendet und gegen verschiedenste Patente und Rechte verstoßen. Kommt uns in Deutschland irgendwie bekannt vor, so fast dreißig Jahre später.
Gerade in dem Zeitraum, als EXIN mit Tente kommerziell auf dem Höhepunkt war und die Steine Billunds in Spanien ankamen, ging Lego das spanische Unternehmen in Israel an. Einem der Länder, in denen sich beide Unternehmen einen Markt teilten und sich Lego ein Gerichtsurteil zu ihren Gunsten hoffte.
Ich will jetzt nicht sagen, dass das Gerichtswesen in spanischsprachigen Ländern eine gewisse Tendenz hat oder nicht unabhängig sei, aber letztendlich betrachten sich Spanier und spanischsprechende Personen zum ein und dem selben Kulturkreis zugehörig. Nicht umsonst gibts den Spruch, dass Spanischamerika an den Pyrenäen aufhört, bzw. Europa erst an den Pyrenäen anfängt.
Im Grunde ging es Lego auch nur darum, EXIN mit kostspieligen Verfahren zu binden, vor allem finanziell.
Durch besagte geldintensive und komplizierte Prozesse versuchte eben Lego einen Präzedenzfall mit großer Resonanz heraus zu provozieren und den Markt mit einem wichtigen Urteil aufzurütteln. Der israelische Oberste Gerichtshof war und ist ein international anerkanntes Gremium und ein Urteil zu Gunsten Lego hätte es den Dänen ermöglicht, geltende Patente des katalanischen Unternehmen ungültig erklären zu lassen im weiteren Zuge.
Lego stützte seine Anklage auf die Maße, die Größe, das Material (ABS-Kunststoff) und monierte eben das von EXIN für Tente genutzte Verankerungssystem. Lego behauptete in der Anklage, dass ihr Produkt ein einzigartiges künstlerisches Werk sei und sie verlangten daher eine angemessene finanzielle Entschädigung.
Nach langen Verhandlungen und vielen Worten von Anwälten beider Seiten mit vielen drohenden Handels- und Vertriebshindernissen entschied der oberste israelische Gerichtshof, dass die Lego-Steine weder ein künstlerisches Werk noch einzigartig seien. Es handelte sich um ein urheberfreies technisches System (Patent 1978 abgelaufen) und hat somit im Sinne von EXIN für Tente entschieden.
Und das Urteil hatte in der juristischen Welt durchaus Gewicht, waren doch Rechtsprechungen aus Israel auch durchaus eine Tendenz für andere Rechtsprechungen in anderen Ländern.
Mit dem Urteil war damit EXIN wieder in der Lage, Tente in Israel zu vermarkten, da ja die rechtlichen Probleme aus der Welt damit geschaffen waren. Leider war der juristische Sieg, ob gleich ein herber Rückschlag für Lego, keine Rettung vor dem Untergang eine Dekade später.
1998 wurde Tente verkauft an die spanische Firma Borrás, die nochmal die beliebtesten Sets von Tente aufgelegt hatten, bis die Produktion 2007 eingestellt wurde und 2008 komplett vom Markt verschwand.
Zukunft?
Gute Frage, ich habe gute Hoffnung, dass auch hier wieder die bekanntesten Sets von Tente aufgelegt werden, eine Anfrage bei iunits.es ist noch offen. iunits.es hat ja die alten Gussformen gekauft und nach Madrid geholt. Ich hoffe, hier weitere Infos zu bekommen, wie es weitergehen wird. Werde ich mir Sets holen? Sicherlich das eine oder andere, allerdings dann auch als Vitrinensets als Erinnerung an meine Wurzeln, sowohl familiär wie aber auch für die Klemmbausteine. Ohne Tente, kein Lego, ohne Lego, keine anderen Klemmbausteinmarken und damit keine Reviews und Breaking Brick.
Ich bedanke mich sehr herzlich für eure Aufmerksamkeit. Vor allem für ein Thema, was im deutschsprachigen Raum nicht wirklich bekannt ist und auch ein Nischenprodukt in der Nische selbst bleiben wird.
Haut rein und baut fein!
Interessante Geschichte, ich hatte vorher noch nie was von Tente gehört… Danke dafür!
Tatsächlich sehr interessant. Zum einen das Wissen um noch mehr Vielfalt auf dem Klemmbausteinmarkt, zum anderen darüber, dass LEGO® anscheinend schon immer etwas – na sagen wir mal merkwürdig unterwegs war.
Marco von dasklemmt.de bei mir, das freut mich! Verfolge deinen Content auch.
Ja, bei den Recherchen war ich erstaunt, wo nicht das dänische Imperium am Start war.
Tatsächlich gab‘s Tente sogar in Deutschland, wenn auch nicht so weit verbreitet. Ich habe leider so gut wie gar keine Informationen, wann, wo und welche Sets, aber ich habe hier bei mir einen kleinen deutschsprachigen Tente-Katalog! Das Tente-Logo ist gelb statt rot, und im Katalog sind Schiffe und Straßenfahrzeuge aufgelistet. Steht leider keine Jahreszahl drauf, aber ich schätze den mal auf 1980er Jahre. Tente scheint hier aber wirklich nicht erfolgreich gewesen zu sein.
Hallo,
sauber, danke für deinen Input. Hättest du Bildmaterial dazu als Scan? Tente wird eh aktuell in Spanien neu aufgelegt mit den alten Gussformen.
Danke und viel Spaß!
Sorry dass ich mich erst so spät wieder melde, aber ich hab inzwischen noch ein bisschen mehr über Tente in Deutschland herausgefunden!
Vertrieben wurden die Sets hier anscheinend von der Spielzeugfirma Kenner (sagt mir persönlich nichts, sind aber für Actionfiguren oder so bekannt). Verkauft wurde es anscheinend ab mindestens 1980, bis wann weiß ich nicht. Es wurden wohl nur wenige Themenreihen vertrieben, soweit ich weiß nur Straße, Weltall und Marine.
Tente muss sich hier aber wirklich nicht gut verkauft haben, man findet kaum was dazu im Internet und Deutschland-lokalisierte Versionen von den Sets sind sehr selten auf dem Gebrauchtmarkt zu finden.
Übrigens habe ich keinen Scan von meinem Minikatalog – den gibts schon im Internet! Bei meinem Katalog scheint etwa die Hälfte zu fehlen (ich hab die Seiten mit den Astro-Sets und die letzte Seite mit dem Copyright nicht), aber ansonsten ist es der gleiche Katalog, welcher 1980 veröffentlicht wurde. Hier der Link: https://www.latenteteca.com/wp-content/uploads/pdf/catalogos/TENTE_CatAleman_80s.pdf
Hoffe, dass ich evtl. etwas helfen konnte!
Kudos, Hut ab, danke für den wertvollen Beitrag!!
Ich müsste auch noch ein paar Schiffe und etwas Raumfahrt-Tente haben. Die gab es hier in Deutschland bei Metro. Von da sind meine Tente-Sets her. Wenn meine Eltern damals dort einkaufen warten, habe ich ab und zu ein Set mitgebracht bekommen.